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Abendbegegnung
Seicht schleppende Hinauszögerung der einzelnen Sekunden des Tages. Jeder Moment eine kleine Ewigkeit. Die Blumen des Gartens blühten in einer Pracht, die sogar die purpurfarbene Samtsonne überstrahlte. Auf dem Liegestuhl schnurrte melodisch die kleine weiße Katze, sie war von der Herrlichkeit der stillen Abenddämmerung erfaßt worden, wie auch das Mädchen, das am Rande des Gartens stand. Leise Stimmen drangen aus dem Haus, Gelächter, sanfte Klaviermusik umschmeichelte die Mauern bis hin zum Gartentor, floß durch das schwarze schwere Eisengitter und wurde immer dünner in der Entfernung des Augenblicks. "Das Konzert war wirklich göttlich, die Fingerfertigkeit des Pianisten und..." "Aber letzten Mai gab er ein Konzert in Rom. Die mystische Tragik seiner Beethoven Interpretation, grandios!" Ein lachendes Paar zog vergnügt vorüber, die Sektgläser halbgefüllt liefen sie in die abendliche Stimmung, die langsam am Horizont verschwand.
Die ersten Sterne zierten schon das nächtliche Firmament, das sich gemächlich wie ein Seidenschleier über die Landschaft legte. "Aber aber, eine heimliche Mondanbeterin?" So still wie der Mond am Himmel war auch die schwarze Gestalt aufgetaucht . Ohne sich umzudrehen versuchte sie die klangvolle Stimme des Mannes einzuordnen, der sich wie ein Nebelschleier aus dem Hintergrund des pittoresken Abendgemäldes gelöst hatte. Gleichzeitig aber schien er sich in ihre Gedanken einzufügen, die zu Worten wurden. "Eine Mondanbeterin? Das gewiß, aber keine Heimliche." Es mußte sich um einen entfernten Verwandten oder Freund des Gastgebers handeln, der zu späterer Stunde eingetroffen war, da ihr alle bereits Anwesenden bekannt oder vorgestellt worden waren. Ihre anmutig grazile Gestalt stand weiterhin wie eine spröde weiße Marmorstatue unbeweglich da, umschmeichelt von den fließenden Seidenstoffen ihres Kleides, mit denen die sanfte Abendluft ihr Spiel trieb. Dann drehte sie sich langsam um, ein kalter Luftzug streifte ihre blassen Wangen, die beim Anblick des jungen Mannes von einem Hauch rot überzogen wurden. "Die Farbe der jungfräulichen Rose verleiht ihnen noch mehr Schönheit, als je ein Künstler hätte Ophelia geben können. Senken sie ihre Augen nicht zu Boden, ich will durch die scheinbare Undurchdringlichkeit des tiefen Blaues in ihre Seele schauen!" Mit einem beinahe unschuldig kindlichen Lächeln hob sie ausgelassen den Kopf, der von einem Kranz aus roten Locken geziert wurde. "Woher wußten sie?" "Die blauen Augen? Intuition, Madame!" "Oder sind wir uns schon einmal begegnet?" Sie versuchte sein Gesicht unbemerkt zu studieren, aber die nächtlichen Schatten überzogen bereits die Gestalt, von der sie noch eine Minute zuvor eine Andeutung der feingeschnittenen Gesichtskonturen hatte erfassen können. Ein dunkles melancholisches Lachen erfüllte die Nacht. "Eine außergewöhnlich törichte Frage. Bitte, sie müssen meine geschmacklose Wortwahl entschuldigen, aber es ist unmöglich, daß wir uns schon jemals begegnet sind." "Sie strahlten bloß so eine vertraute Nähe aus. Ein Verwandter vielleicht, oder eine verflossenen Liebe aus einem früheren Leben? Jetzt müssen sie mir aber meine infantile Impertinenz verzeihen, schauen sie doch nicht so böse. Ich erahne ein Lächeln auf ihrem Gesicht, auch wenn es noch so verborgen scheint." In ihrem jugendlichen Übermut wollte sie die kalte Hand des Mannes ergreifen, der verdutzt zurückschreckte. Die goldene Mondsichel trat hinter einer Wolke hervor. Er blickte sie an. "Sie frieren ja, wollen wir lieber ins Haus gehen?"
Die entfernten Glockenschläge der nahen gotischen Kirche durchschnitten hell den schweren Nachtschleier. Elf Schläge hallten über die flachen Täler und verschlafenen Wälder hinweg bis hin zu der kleinen Bucht, wo sich der stille Fluß in das rauschende Meer ergoß. Die Töne und Schwingungen wurden in die weite Welt hinaus getragen, schwebten über Häusern hinweg, in denen Väter, Mütter und Kinder friedlich schliefen, gingen in dem pulsierenden Leben der Großstädte am anderen Ende der Welt unter und klangen allmählich in der Unendlichkeit aus.
Er lächelte unauffällig. "Sie werden sicherlich schon vermißt werden!" "Aber nein, das heißt, vielleicht doch. Sie müssen wissen, mein Onkel ist ein liebenswerter alter Mann, der aber bei Zeiten sehr streng ist. Ein bißchen wird er jedoch warten können, schließlich ist der Abend noch jung, und ich kann mir noch mein ganzes Leben lang seine Geschichten über Jugenderinnerungen und längst vergangene Tage anhören."
Sie zog leicht fröstelnd die Schultern hoch, so daß er ihr als Gentleman der alten Schule seinen Umhang anbot, den sie gerne annahm. Langsamen Schrittes zogen sie die Wege des Parks nach, das leise Knistern von Kies unter ihren Schuhen untermalte das fröhliche Geplapper des jungen Mädchens. Soviel wußte sie doch zu erzählen aus Kindertagen. Von neugeborenen Kätzchen, von winterlichen Schlittenfahrten und einer verknöcherten, alten Lehrerin, die ihr vergeblich das Klavierspielen hatte beibringen sollen. Aber auch von der Kutsche, die sie eines Tages zur Kirche fuhr, und von den unzähligen Kindern, deren Gelächter das Haus erfüllen sollte. Oder sollte sie ihr Leben doch lieber in den Dienst von Armen und Kranken stellen? So viele Pläne!
Schweigend hörte ihr Begleiter zu, während sie den Goldfischteich passierten und schließlich an die uralte verschnörkelte Kapelle mit einem Türmchen obenauf gelangten. Zu ihrem Erstaunen mußte sie feststellen, daß die Uhr schon beinahe zwölf zeigte. "Oh, mit ihnen vergeht die Zeit wie im Flug. Sie müssen entschuldigen, ich rede wirklich zuviel, aber sie scheinen so interessiert an meinem behüteten, jungen Backfischleben zu sein, obwohl ich doch eigentlich noch gar nichts erlebt habe. Außerdem mag es für sie sicherlich albern klingen, aber es kommt mir so vor, als ob ich auf sie mein ganzes Leben schon gewartet hätte. Auch sei Blick fiel auf den schwarzen Zeiger, der sich unabänderlich auf die zwölf zu bewegte. Blaß und traurig erschien nun sein Gesicht, alle Kraft schien plötzlich aus seinem Körper zu weichen. Eilig griff er nach seinem Umhang. "Ich kann ihnen das jetzt nicht erklären, aber es ist wirklich besser so." Er legte seine eisigen Hände auf ihre unbedeckten zarten Schultern, wie nahe waren sie sich in diesem Augenblick.
"Vergessen sie mich einfach!" Wie gerne hätte er sie jetzt an sich gezogen, diese zierliche Mädchen, was ihre Blütezeit noch nicht erreicht hatte. Verstört blickte sie ihn an. "Geh nicht, ich bitte dich, bleib bei mir, ich kann ohne dich nicht leben!" Ihre Worte überschlugen sich, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. Festhalten wollte sie ihn, aber ihre Kraft reichte nicht, der Stoff seines Umhangs glitt zwischen ihren Fingern hindurch.
Die Dunkelheit der Bäume schluckt seine Umrisse. "Hoffentlich kommt er bald zurück", schluchzte das verzweifelte Mädchen, als sich die einzelnen Sekunden der Glockenschläge schleppend hinauszögerten. Jeder Moment eine kleine Ewigkeit.
Schwarz in schwarz verlor sich die Gestalt des Dahineilenden in der Finsternis des Waldes, obwohl sie ihm unaufhörlich "So nimm mich doch bitte mit!" hinterher rief. Hunderte Echos wurden von den Bergen zurückgeworfen, hallten über Täler, Wälder und Flüsse, erreichten unbeantwortet die Sterne, die gerührt silberne Tränen vergossen.
Einsam saß er von seinem Umhang umhüllt in der Dunkelheit und weinte. Dies hätte ihr letzter Tag sein sollen, aber zum ersten Mal hatte der Tod wie ein Mensch ein Leben geschenkt.
Chantal träumt.
Chantal hat ein Verhältnis mit einem Satz.
Eins von diesen Dingen. Eine zufällige Begegnung,, die für beide zu etwas wichtigem wurde.
Sie mögen dieselben Dinge. Sie nahm ihn mit auf eine Party. Sie waren ein echter Hit. Das perfekte Paar.
Jeder weiß von ihr und dem Satz.
Aus politischen Gründen verbrachte der Satz einen Großteil des letzten Jahres in der Tschechoslowakei. Aber er wurde kürzlich zurück ins Englische übersetzt. Um zu verhindern, daß der Satz abgeschoben wird, hat Chantal es arrangiert, daß er in der Kongreßbibliothek verlesen wird – Wie auch immer...
...als es soweit ist, entdeckt sie, daß sie nicht mehr lesen kann. Sie hat keine Ahnung, wovon ihr Satz handelt. Verzweifelt und freudlos beginnt Chantal zu weinen...
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