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[center][size=5]»Falsche Menschen«[/size] [size=4]Eine Chronik anno 2011/2012[/size][/center] [color=#6A5ACD][b][size=3]Anfang September 2011 - Erster Akt:[/size][/b] Auf einer unsäglich populären, virtuellen Plattform endet ein Kontakt dank einer Auseinandersetzung über ein Zitat irgendeines regelmäßig betrunkenen Schriftstellers, der nicht weiter besprochen werden muss. Abfolgend wird die ganze Irrationalität und Zeitverschwendung dokumentiert. (Y weiblich, X männlich)[/color] [b]Y:[/b] »[i]du hast echt gelitten mein freund. lösch mich bitte schnell. und erspar mir dein gerede. ich brech gleich. ich entscheide wer mich beleidigt.[/i]« [color=#6A5ACD]Y führt erzürnt über die Majestätsbeleidigung, die umgehende Bestrafung der unwürdigen Kreatur aus, welche sie fälschlicher und nur irrtümlicher Weise intimsten Einblick und Zutritt in ihr Pinnwandkönigreich gewährte. Enttäuscht und angewidert sties sie den Verräter also soweit fort wie es nur ging, doch was tat ihr törrichter, undankbarer und verstossener Untertan? Er wagte doch glatt dieses Sakrileg mit weiterer Kritik fortzuführen![/color] [b]X:[/b] »[i]Schön, dass Du mich gleich aus der Kontaktliste rauswirfst, wenn man mal nicht ähnlicher Ansicht ist.[/i] [...] [i]Scheinst die Oberflächlichkeit der breiten Masse doch stärker zu teilen als erwartet, echt schade, dachte hinter Deinem ganzen Getue steckt eine fundierte Lebenseinstellung.[/i]« [color=#6A5ACD]Enttäuschte Gefühle machten sich knisternd in X breit, obwohl es sich nur um eine Kleinigkeit handelte. Hatte er seine Zeit wirklich so deutlich verschwendet? Kostbare Lebenszeit! Wie konnte er sich nur einbilden Menschen aufgrund ihrer virtuellen Aktivitäten und Profile beurteilen zu wollen? Vorurteile sind das einzige was der Mensch hat, manchmal sind sie wahr, meistens falsch. Aber hier glaubte er auf der richtigen Spur zu sein. Er war offensichtlich ein Narr derart optimistisch vorzugehen, wenngleich diese Art von Irrtümern bei ihm tatsächlich eher selten vorgekommen sind. X machte sich schon längst nichts mehr aus Menschen. Alles was sie erzählten, all ihre Versprechen hielten oft keine Dämmerung aus, waren wie Rauch im Wind. Es gibt keine Seelenverwandten, keine Solidarität oder blindes Verständnis, nur blinde Illusionen, Köpfe voller Beton, unkontrollierbare Zufälle, die die Menschen zusammenwarfen und wieder auseinanderrissen, so dachte er. Und er schrieb Y noch etwas:[/color] [b]X:[/b] »[i]Warum fühlst Du dich persönlich beleidigt wenn ich Dir, im Gegensatz zu diesen ganzen Ja-Sagern und hirnverbrannten Mitläufern in Deiner Kontaktliste, offen und ehrlich sage wieviel Substanz in diesem Zitat steckt? Wieso verwirfst Du wegen einer einzigen Meinungsverschiedenheit gleich jeglichen Kontakt? Meinst du das ich Dir schaden will, obwohl wir in den zwei Gesprächen durchaus einige Übereinstimmungen hatten? Waren denn Deine ganzen Äußerungen nur hohle Phrasen? Du wirst jedenfalls niemals einen Menschen finden der alles 100 Prozent so sieht und versteht wie Du, denn jeder Mensch hat seine eigene Perspektive. Das höchse Gut in einer Freundschaft oder im Kontakt mit anderen Menschen ist daher immer die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Und genau das habe ich Dir stets entgegengebracht. Es ist nicht meine Schuld wenn Du das missverstanden hast. Dadurch wirst Du dich bloss noch isolierter fühlen und die gesamte Menschheit weiterhin für etwas verurteilen, was Du bei Dir selbst noch nichteinmal ausgeräumt hast.[/i]« [color=#6A5ACD]Es ergab keinen Sinn für X und er schien nach diesen Zeilen die Sache bereits begraben zu haben, als ihre Majestät sich dazu verleiten liess, eine Antwort darauf zu schreiben, die wie folgt lautete:[/color] [b]Y:[/b] »[i]ich hab hier oft einen kurzen draht bei[/i] [virtuelle Plattform][i], wenn man den falschen zeitpunkt erwischt mit gedanken, dann erwischt man den falschen. das hat leider überhaupt garnichts mit dir als person zutun. das ist das internet das oft falsch verstandene medium! (ich hasse es) fühl dich bitte nicht angegriffen durch diese leicht überholte/übertriebene erste reaktion. so bin ich nicht. (real, jedenfalls) ich halte es einfach für unnötig via "kommentare" in einem status sein gedankengut zu äußern. wenn du mich kennen würdest, wüsstest du was ich wirklich dazu denke. ob einem [beliebigen Schriftsteller einsetzen] zusagt oder nicht bleibt jedoch jedem selber überlassen. es ist nur ein sprachrohr,ob das nun sehr tiefgehend ist oder nicht ist auch ein anderes buch. was ich hier "sage" sind gedanken, und keine phrasen. jedenfalls wenn ich mich für ein paar momente drauf einlassen (wie wir ja schon 1-2x durchaus hatten und steigerungsfähig sind) ich sehe nach wievor potenzial in dir (auch wenn ich deine politische meinung nicht akzeptiere, aber toleriere) ... was schon viel zu sagen hat, wie ich finde. wir können gerne weiterhin "[/i][virtuelle][i] freunde" sein. ich habe überreagiert. in dem fall ist wohl eine "entschuldigung" angebracht, einfach darum weil ich nicht verbohrt bin.[/i]« [color=#6A5ACD]Die Sache erhielt also plötzlich eine überraschende Wendung. Ihre Majestät zeigte sich von ihrer warmherzigen Seite und schmierte X geradezu überschwänglich Honig um den Mund.[/color] »[i]Gut, gut[/i]«[color=#6A5ACD], dachte und sagte er,[/color] »[i]will ich mal nicht so sein und nehme die Entschuldigung an, auch wenn sie in Anführungszeichen daher kommt. Nur hoffe ich mich nicht noch einmal verladen zu lassen.[/i]« [color=#6A5ACD]Es kehrte Ruhe zwischen den beiden ein. Es folgte ein paar Wochen danach ein weiteres nettes Gespräch, das tatsächlich diese Lapalie in Vergessenheit geraten lies. Alle schienen glücklich und zufrieden. [b][size=3]Ende Januar 2012 - Zweiter Akt:[/size][/b] Auf einer unsäglich unbekannten, virtuellen Plattform kommt es zu einem zufälligen und in den letzten Wochen üblich gewordenen beiläufigen Austausch zwischen den beiden, dessen Charakter eher oberflächlich schien. Die Dialoge sind nicht präzise überliefert. Alles was bekannt ist, sind u.a. die erneuten schweren, undankbaren Majestätsbeleidungen von X. Schon wieder brachte er es fertig Y öffentlich bei einer, aus seiner Sicht berechtigten, Kritik zu unterstützen. Es ging um ihren Hang nach Zerstörung, Ablehnung, Distanz und ihre generelle Geisteshaltung. Erst war alles friedlich und plötzlich kippte die Stimmung. Knall auf Fall, geradezu willkürlich, unberechenbar und unvorhersehbar, für alle ausser Y. Sie sah sich im Recht und warf mit zischenden Kommentaren wie[/color] »[i]verweichlichte Chatboys![/i]« [color=#6A5ACD]und [/color]»[i]falsche Menschen[/i]« [color=#6A5ACD]um sich. Die kleine beiläufige Kritik, die ohnehin kaum einer außer den Dreien mitbekam, wurde zum ernsten Problem, so ernst etwas in einem albernen Chat nur sein kann! Y vernahm sie also zutiefst persönlich und reagierte mit dem üblichen Ignore-Rundumschlag, dabei blieb auch X nicht verschohnt. Mit gehangen mit gefangen, wer ihre Sympathien derart offensichtlich missbilligte und das schon zum zweiten Mal, wie sie selbst empört aussties, sowas konnte kein Zufall sein, soetwas musste böswillige Ketzerei sein, um sie völlig zu vernichten! Sie schritt ohne sich überhaupt ernsthaften Diskussionen zu stellen, was z.B. ihrer Ansicht nach mit "verweichlicht" oder "falsch" gemeint sein könnte, zur Tat, blockierte und ignorierte, aber nicht ohne X vorher folgendes entgegen zu spucken:[/color] »[i]Hör auf zu atmen![/i]«. [color=#6A5ACD]Sie wollte wohl damit zum Ausdruck bringen, wie stark sie über ihn, den Menschen und dem Leben generell stand und wie sehr sie all das von ihrer hohen, gottgleichen Position verachtete. Verwundert sah sich X um, was war geschehen? Sass er in einer Art Zeitschleife? War er Zeitreisender wider Willen? Er hatte den Eindruck ein Déjà-vu erlebt zu haben. Wie konnte derselbe Schwachsinn erneut geschehen? Hatten wir das nicht alles schon längst geklärt? Während sich X verwirrt den Kopf rieb, dachte Y triumpierend über ihr Handeln nach: [/color]»[i]Das hat gesessen! Den bin ich los![/i]«, [color=#6A5ACD]dachte sie. [/color]»[i]Der wird sich zwei Mal überlegen, bevor er sich mit mir anlegt, haha! Ich bin es![/i]«. [color=#6A5ACD]Zumindest glaubt man das, sie könnte auch gar nichts gedacht haben, sie verliess jedenfalls mit hochrotem Kopf rasch den Ort des Geschehens und wart nicht mehr gesehen. Y hatte X genauso behandelt wie hunderte anonyme Menschen zuvor, trotz der längeren, anregenden Gespräche, die sie mit ihm geführt hatte. Sie schmiss ihn aufgrund einer verschwindend geringen, sachlichen Anmerkung, was ihr Ganzes handeln geradezu willkürlich erscheinen lies, aus ihrem virtuellen Leben. Sie tilgte diesen jemand aus ihrem virtuellen Leben, selbst aus unbedeutenden Weblogs, damit bloss keiner irgendeine Verbindung zu ihm und ihrer Würdigung seiner Äußerungen herstellen konnte. So wie sie es bereits zuvor getan hatte. Dabei hatte sie überhaupt nicht den Gegenstand der Kritik begriffen und beging absolut denselben Fehler, wie an dem lauen Septemberabend im vorherigen Jahr. Sie verstiess jemanden, den sie nach eigenem Bekunden irgendwann und irgendwie schätzte, ohne fundierte Gründe anführen zu können. Das ist personifizierte Irrationalität. Ablehnung ohne Argument. Vorurteile die nichts mit der Realität zutun haben, bestimmen über die Realität. X wird es nun wohl grundsätzlich und endgültig ablehnen längere Gespräche mit irgendwem zu führen. Er sieht sich ein weiteres Stückchen bestätigt, dass es im Internet keine Freunde gibt und jede Unterhaltung mit irgendwelchen Menschen Zeitverschwendung ist, auch wenn sie einem noch so neckisch zu prosten. Jeder kann dich hinzufügen und entfernen wie er lustig ist, deshalb hat keine persönliche Äußerung im Internet soviel Wert wie selbige Äußerungen in der Realität, wenngleich man dort unter Umständen genauso oberflächlich und irrational abgefertigt wird. Menschen lassen sich im Internet noch schlechter beurteilen, da sie hier ihre aufgesetzte Scharade perfektionieren und ständig aufrechterhalten können. Ihre Äußerungen sind so auswechselbar wie ihre Kontaktlisten und Profile. Wie lautet also die Moral von der Geschicht? Gechatte im Internet lohnt sich nich.