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Alles war seit zwei Jahren vorbei, aber nachts, in ihren Träumen, wurde alles wieder lebendig, und manchmal meinte sie morgens nach dem Aufwachen minutenlang, er sei in der Küche oder hätte seinen Kaffee mit nach draussen auf die kleine Veranda ihres Apartments genommen. Es war ein grausames Täuschungsmanöver ihres Gehirns, ja, aber sie hatte dessen Logik schon vor langer Zeit akzeptiert - aufwachen war schließlich so ähnlich wie geboren werden. Geschichtslos stieg man an die Oberfläche, ordnete blinzelnd und gähnend die Vergangenheit, schob die Puzzleteile in chronologische Reihenfolge und wappnete sich schliesslich für die Gegenwart. Weitaus grausamer war, das scheinbar willkürliche Gegenstände verborgene Erinnerungen an ihren Mann wie Streichhölzer aufflackern liessen. Nie konnte sie vorhersehen, was das für Dinge waren - ein Salzstreuer, der Gang eines Unbekannnten auf einer belebten Strasse, eine Coca-Cola-Flasche, ein Aschenbecher, ein Kissen. Sie fragte sich - und zwar nicht zum ersten mal, alles andere als das, ob dies der Tag sein würde, an dem sie die Sehnsucht nach ihm endgültig übermannen würde. Wenn sie die Zeit zurückdrehen und alles ändern könnte, sie würde es sofort tun. Das stand fest. Das stand schon immer fest. Aber während die Jahre vergingen wurde die Sehnsucht nach ihm nicht weniger, sondern immer mehr, und ihre Sehnsucht nach ihm wurde eine Wunde, die nicht vernarben wollte, die nicht aufhören wollte zu bluten. Ich habe ihn umarmt. Das kann mir diese Welt nicht geben. Diese Welt kann mich nur an das erinnern, was ich nicht habe, was ich nicht haben kann, so lange nicht gehabt habe. Wir hätten zusammen alt werden sollen, hätten noch mehr Kinder haben sollen. Spaziergänge unter alten Bäumen machen. Ich wollte zusehen, wie sich Deine Haut in Falten legt, wollte jede einzelne Runzel kennen. Mit Dir zusammen sterben.