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Sakra, Ratzl-Spatzl, ist das dein Ernst? In diesen Tagen des bigotten Tons wird es wieder Zeit für ironische Lieder. Der Kabarettist und Liedermacher Georg Ringsgwandl erinnert sich an die Dämonen seiner katholischen Kindheit. Mit dem Song "Papst gsehng" erzielte ich 1980 einen gewissen Erfolg. Darin berichtet eine Nonne von ihrer Fahrt zum Papstauftritt in Altötting. Vom Mutterhaus der Mallersdorfer Schwestern in Niederbayern reist sie mit dem Zug nach München. Von da geht es mit dem offiziellen Dienstmercedes der Erzdiözese M-FS nach AÖ, vorn drin Chauffeur, Kardinal und Prälaten, sie hinten im Kofferraum, ist aber o.k., Hauptsache, sie darf mit. Andere Frauen stehen auf Placido Domingo oder die Bay City Rollers, ihr Star heißt Johannes Paul II. Sie steht zwar 300 Meter weg von dem Altar, singt aber: "I hob an Papst gsehng." Während der Messe, beim Klang von hunderttausend blütenreinen Kinderstimmen, hat sie ein magisches Erlebnis. Zuerst ist es nur ein vages Gefühl, aber dann ist sie sich sicher: Der Papst schaut MICH an, und so heißt es im letzten Refrain: "Mi hot da Papst gsehng." Zurzeit denke ich darüber nach, den Song wieder ins Programm zu nehmen. Irgendetwas stört mich nämlich an dem bigotten Ton, der aufkommt, sobald vom neuen Papst die Rede ist. Ich freue mich zwar auch, dass wir zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder Papst sind, aber irgendetwas sträubt sich in mir, wenn ich höre, wie jemand ergriffen vom Heiligen Vater spricht. Die Dämonen der Kindheit gewecktVielleicht liegt das daran, dass ich ein besonders unheiliger Vater bin, vielleicht hat aber auch der gewaltige Lärm der Papstbesuch-PR-Maschinerie die Dämonen meiner Kindheit aufgeweckt. Erinnerungen an die Sonntagnachmittage im Herbst, wenn wir Kinder mit in das düstere Kloster nach Salzburg mussten, weil Cornelia, eine Schwester meiner Großmutter, wieder im Mutterhaus ihres Ordens weilte. Ein paar Wochen lang keine Schufterei auf den Feldern des Klosters St. Veit weiter hinten im Gebirge, sondern Exerzitien im vergitterten Gemäuer. Wir starrten auf ihre kunstvoll gefaltete Flügelhaube mit den sanft wippenden Schwingen aus unglaublich gestärktem, makellos weißem Stoff und fürchteten uns vor dem modrigen Geruch der Plätzchen vom letzten Weihnachten, die sie feierlich aus einem Stoffbeutel unter ihrer Kutte hervorkramte und uns darreichte, als seien es Diamanten. Sie starb mit 78 ganz elend an Unterleibskrebs. Kurz vor ihrem Tod sagte sie: Es war ein vertanes Leben. Oder die Geschichte einer Cousine meiner Mutter, die als junges Mädchen von einem Pfarrer verführt worden war. Abends erschien er auf dem Hof, von ihren Eltern mit Herr Hochwürden begrüßt, und stieg mit ihr hinauf in die Mädchenkammer. Man hörte durchs ganze Haus, was dann passierte. Wenn er im Morgengrauen wieder verschwand, nahm er gleich noch ein Pfund Butter mit.Als es dem Bischof zu bunt wurde, leistete der Pfarrer Abbitte, und als der Krieg vorbei war, veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Christus im KZ". Nach seinem Tod wurde in Teisendorf eine Straße nach ihm benannt.Mein Onkel Alois Ringsgwandl kam als Kind einer ledigen Bauernmagd auf die Welt. Dafür machten die bigotten Dörfler seiner Mutter das Leben zur Hölle. Verzweifelt ging sie als Hausmädchen nach Südtirol. Ein paar Jahre später starb sie an der Schwindsucht. Von wegen Wertschätzung des ungeborenen Lebens, nicht mal das geborene wurde geachtet. Die letzte Hexenverbrennung Deutschlands fand 1775 in Kempten statt. Dennoch, als Johannes Paul II. 1981 in Rom Opfer eines Attentats wurde, war die beste Zeit für meinen Song vorbei. Karol Wojtyla besuchte Ali Agca im Gefängnis und vergab ihm. 1992 entschuldigte sich der Papst für das Unrecht an Galileo Galilei. Er bat sogar um Vergebung für die Grausamkeiten der Kreuzzüge, der Inquisition und anderer Gräuel, an denen die Kirche beteiligt war. Keinen Tag zu früh, aber trotzdem respektable Worte. Die Kirche lernte dazu, und so blieb der Song in der Versenkung. Kein Platz bei den PopstarsWarum etwas Ironisches über den Papst singen, wenn zur gleichen Zeit Teenager um ein Autogramm von Paris Hilton betteln, wenn Zehntausende zu Robbie Williams pilgern oder in die Depeche Mode-Kirche gehen? Das mag alles ganz lustig sein, aber wohin sollen die Hässlichen, Verlassenen, Armen und Kranken? Bei den Popstars ist kein Platz für sie, aber die Kirche nimmt sie auf. Es war ein bemerkenswertes Zeichen, als Millionen junge Menschen dem von Alter und Krankheit gebeugten Johannes Paul II. die Ehre erwiesen.Das Einzige, was mich zurzeit noch daran hindert, wieder in die katholische Kirche einzutreten, sind die eingedeutschten Messen und das renovierte Vaterunser. Der Text, den ich noch gelernt hatte, war in einer unantastbaren Sprache abgefasst, auf einer literarischen Höhe, die jedem sofort vermittelte, hier radebrecht kein reformfreudiger Studienrat, hier spricht Gott. Kann sich jemand vorstellen, dass Gott in der Nähe ist, wenn, wie kürzlich bei einer Kindstaufe, eine Pfarrerin in Kurzhaarfrisur Lieder der Rolf-Zuckowski-Machart zur verstimmten Wandergitarre singt? Ich möchte zu meiner Beerdigung ein Hochamt mit Scharen von Ministranten, die, ohne ein Wort zu verstehen, ellenlange Gebete auf Lateinisch herunterrasseln, das Licht muss durch hohe bunte Fenster kommen und auf Schwaden von Weihrauch strahlen, von der Orgel soll erhabene Musik von Bach erklingen (ein Protestant, macht aber nix), dazu Chorgesang mit der Inbrunst von achtzig enttäuschten Hausfrauen, die Priester in so reich verzierten Gewändern, dass ihre sündhafte Person dahinter verschwindet, und wenn die Liturgie in Latein und Griechisch gelesen wird, weiß ich, dass es etwas gibt jenseits von Rentenanspruch und bewusster Ernährung, etwas, das schon vor den Assyrern existierte und noch sein wird, wenn Josef Ackermann längst vergessen ist. Erst dann ist meine Seele beruhigt, und dann mag mein Sarg getrost ins Feuer fahren. 1996, als Joseph R. die vatikanische Glaubenskongregation leitete, rutschte mir folgende Strophe in einen rap-artigen Song: "Vor kurzem sagt der Ratzinger, was ist sexuell heut Sache, vögeln darf ich nur, wenn ich ein Kind wem mache. Ja sakra, sag ich, Ratzl-Spatzl, ist das denn dein Ernst, wenn du es so selten machst, ist klar, daß du des nie lernst." So was würde ich heute auf gar keinen Fall mehr schreiben, geschweige denn singen, schon wegen meiner Beerdigung. Aber "Papst gsehng", das wär" mal wieder eine Idee. (SZ vom 13.9.2006)