Allgemein (25) | ||
---|---|---|
Rating: 0 (0) |
[size=2][color=#333333]Es ist lächerlich, sich weiterhin vor der Aufgabe zu drücken. Er ist ein Mann, was hat jetzt zu geschehen? Geschehen? Das geht zu weit. Erst sei festgestellt, wann es zu geschehen hat. Jetzt, sie wird sich verzweifelt wehren. er darf sich daran nicht stoßen. es ist begreiflich, wenn eine Frau sich um ihr Letztes wehrt. Sobald es geschehen ist, wird sie ihn bewundern, weil er ein Mann ist. So sollen alle Frauen sein. Es geschieht also jetzt. Abgemacht. Er gibt sich sein Ehrenwort.
Zweitens: Wo hat es zu geschehen? Eine häßliche Frage. Tatsächlich hat er schon die ganze Zeit über einen Diwan vor Augen. Sein blick war an den Regalen entlanggeglitten, der Diwan glitt mit. die Muschel vom Strand lag drauf, riesengroß und blau. Wo er sein Auge verweilen ließ, stellte sich auch der Diwan hin, erniedrigt und plump.Er sah aus, als trüge er die Lasten der Regale. Geriet Kien in die Nähe des wirklichen Diwans, so riß er den Kopf auf die Seite herüber und wanderte den weiten Weg zurück. Jetzt, wo ein ehrenwörtlicher Beschluß gefaßt ist, nimmt er ihn schärfer und länger her. Wohl prallt das Auge, aus Gewohnheit vielleicht, noch einigemal ab. Schließlich bleibt es doch haften. Der Diwan, der eigentliche, lebendige Diwan ist leer und trägt weder Muschel noch Lasten. Und wenn er nun künstlich Lasten trüge? Wenn man ihn mit einer Schicht schöner Bücher belüde? Wenn er ganz verdeckt wäre von Büchern, daß man ihn fast nicht sieht?
Kien gehorcht seinem genialen Impuls. Er trägt eine Menge von Bänden zusammen und türmt sie vorsichtig auf dem Diwan auf. Am liebsten hätte er oben welche ausgesucht, doch die Zeit ist knapp, sie hat gesagt, sie kommt gleich. Er verzichtet, die Leiter lässt er leiter sein und begnügt sich mit ausgewählten Werken von unten. Vier bis fünf schwere Stücke legt er übereinander und streichelt sie in der Eile, bevor er neue holt. Schlechtere Sachen nimmt er nicht, um die Frau nicht zu kränken. Zwar versteht sie wenig davon, aber er sorgt für sie, weil sie Büchern gegenüber Einsicht und Takt hat. Gleich wird sie da sein. Sobald sie den überladenen Diwan sieht, wird sie, ordnungsliebend, wie sie ist, drauaf zugehen und fragen, wo die Bände hingehören. So lockt er das ahnungslose Geschöpf in die Falle. An die Namen der Bücher knüpft sich leicht ein Gespräch. Schritt um Schritt lenkt er langsam hinüber. Die Erschütterung, die ihr bevorsteht, ist das größte Ereignis im Leben einer Frau. Er will sie nicht erschrecken, er will ihr helfen. Die einzige Möglichkeit,kühn und entschieden zu handeln. Überstürzung haßt er. Er segnet die Bücher. Wenn sie nur nicht schreit.
Schon vorhin hat er ein leises Geräusch gehört, als ob die Tür im vierten Zimmer gegangen wäre. er achtet nicht darauf, er hat Wichtigeres zu tun. Er betrachtet den gepanzerten Diwan vom Schreibtisch her, auf seine Wirkung hin, und fließt vor Liebe und Ergebenheit gegen die Bücher über. Da sagt ihre Stimme:
»Jetzt bin ich da.«
Er dreht sich um. Sie steht auf der Schwelle zum Nebenzimmer, in einem blendend weißen Unterrock, der mit breiten Spitzen besetzt ist. Aufs Blau, die Gefahr, hat er zuerst geblickt. Er gleitet erschreckt an der Gestalt hinauf: ihre Bluse hat sie anbehalten.
Gott sei Dank. Der Rock ist weg Jetzt brauch' ich nichts zu zerdrücken. Ist das anständig? So ein Glück. Ich hätt' mich geschämt. Wie kann sie das tun. Ich hätte gesagt: Leg' ihn weg. Das hätt' ich nicht können. So selbstverständlich steht sie da. Wir müssen uns schon sehr lange kennen. Natürlich, meine Frau. Bei jeder Ehe. Woher sie das weiß. Sie war in Stellung. Bei einem Ehepaar. Hat alles mit angesehen. Wie die Tiere. Die finden das Richtige, von selbst. Sie hat keine Bücher im Kopf.
Therese nähert sich mit wiegenden Hüften. Sie gleitet nicht, sie watschelt. Das Gleiten kommt also nur vom gestärkten Rock. Sie sagt freudig: »So nachdenklich? Ja, die Mannsbilder!« Sie krümmt den kleinen Finger, droht und zeigt mit ihm auf den Diwan. Ich muß auch hingehn, denkt er, und steht schon, er weiß nicht, wie, neben ihr. Was soll er jetzt tun - auf die Bücher hinlegen? Er schlottert vor Angst, er betet zu den Büchern, der letzten Schranke. Therese fängt seinen Blick, sie bückt sich und fegt mit einem umfassenden Schlag des linken Arms sämtliche Bücher zu Boden. Er macht eine hilflose Bewegung, zu ihnen hin, er will aufschreien. Entsetzen schnürt ihm die Kehle zu, er schluckt und bringt keinen Laut hervor. Ein furchtbarer Haß steigt langsam hoch: das hat sie gewagt. Die Bücher!
Therese zieht sich den Unterrock aus, faltet ihn besorgt zusammen und legt ihn auf die Bücher am Boden. Dann macht die sich's auf dem Diwan bequem, krümmt den kleinen Finger, grinst und sagt: »So!«[/color]
[color=#663366]Kien stürzt in langen Sätzen aus dem Zimmer, sperrt sich ins Klosett, dem einzigen bücherfreien Raum der Wohnung, ein, zieht sich an diesem Ort mechanisch die Hosen herunter, setzt sich aufs Brett und weint wie ein kleines Kind.[/color]
[right][color=#000000]Canetti: Die Blendung. [/color] [/size]
|
|