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LadyInsomnia
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[color=#9f0d7a]Nachtwachende Tagträumerin
 
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[color=#9f0d7a][b][size=4][font=garamond][i][center]Anna liebt Jens, Katharina liebte Georg[/size][/i][/center][size=3] [left]Anna liebt Jens. Und Jens liebt Anna. Die Zeit bleibt stehen. Die Welt wird still. Noch nie hat es eine solche Liebe gegeben. Anna kann nur von Jens noch reden. Oder von der Liebe. Aber wenn Anna die Großmutter besucht, soll sie die Großmutter reden lassen. Alte Leute erzählen gern. „Erzähl mir eine Liebesgeschichte, Großmutter. Die schönste die du kennst.“ „Die schönste Liebesgeschichte die ich kenne...Das ist ein wahre Geschichte. Und sie ist schon lange her.“ Anna lächelt. Früher kann es keine Liebesgeschichten gegeben haben. Nicht so wie heute. Nicht so wie diese. Jens liebt Anna, und Anna liebt Jens. „Katharina liebte Georg, und Georg liebte Katharina. Sie war bei einer Herrschaft in Dienst, und er handelte mit Geflügel. Wenn er frisch geschlachtete Hühner brachte, dann mußte er mit ihr verhandeln. Sie sprachen darüber, wie alt die Hühner waren, wie schwer und wie fett und wieviel sie kosten sollten. Von Mal zu Mal sprachen sie länger darüber, die gnädige Frau mußte Katharina warnen, nicht zuviel Zeit zu vertun mit diesem Georg, aber es half nichts. Und weil es damals Mädchen genug gab, die zu einer Herrschaft in Dienst wollten, so daß man auf eine bestimmte wie Katharina nicht angewiesen war, kündigte die gnädige Frau der Katharina, als es ihr zu bunt wurde. Als Georg das nächste Mal kam mit seinen Hühnern, weinte Katharina und sagte, sie brauche eine neue Stelle. Und Georg antwortete, statt eine Stelle zu suchen, soll sie ihn doch heiraten. Und da tat sie es.“ „Aber, Großmutter! Das soll eine Liebesgeschichte sein?“ „Warte, Anna. Die Geschichte hat erst angefangen.“ „Aber sie sind ja schon verheiratet. Und so, wie das früher war, können sie jetzt bloß noch Kinder kriegen und alt werden. Was wird da mit der Liebesgeschichte?“ „Die ging immer weiter, Katharina und Georg bekamen Kinder, acht, wie das damals so war, und sie wurden älter, und die Liebe hörte nicht auf. Katharina freute sich über jeden Tag, weil es ein Tag mit Georg war, und Georg freute sich über jede Nacht, weil es eine Nacht mit Katharina war, und umgekehrt genauso. Natürlich hatten sie Sorgen wie alle Leute aber die erschienen ihnen nicht so schlimm, wie sie hätten sein können, weil sie die allergrößte Sorge nicht hatten – ohne einander sein zu müssen. Liebe – kann man erklären wie das ist?“ Die Großmutter schaut auf ihre Hände und schüttelt den Kopf. „Katharina und Georg hätten es nicht erklären können. Sie konnten wohl überhaupt nicht gut erklären. Aber wer sie sah, der begriff alles an der Art, wie sie einander gern anschauten, einander gern zuhörten, einander gern berührten, auch wenn es nur flüchtig war, gern beieinander waren. Nun, alles ging weiter, die Kinder wurden erwachsen und verließen das Haus, Enkel kamen, Katharina sorgte für sie, wenn es nötig war, zwei zog sie auf, weil die Väter starben, daneben kümmerte sie sich um den Haushalt, um das Geflügelgeschäft, das sie jetzt hatten, und war freundlich und geduldig mit jedem, der zu ihr kam. Damals lernte ich sie kennen, und es kam mir vor, als seien ihre Stunden und Minuten länger als die anderer Leute, weil sie immer Zeit für jeden hatte, und Zeit zum Freundlichsein. Dann wurde Georg krank. Es war eine schlimme Krankheit mit großen Schmerzen. Magenkrebs, ich sage dieses Wort nicht gern. Man mußte ihm extra kochen, ihn füttern, ihn pflegen. Er übergab sich oft. Die Kinder die jetzt erwachsen waren, sagten zu Katharina: Er muß ins Krankenhaus. Es ist zuviel für dich. Ein kranker alter Mann. Die Belastung ist zu groß für dich. Katharina schaute die an, die so redeten, und schien gar nicht zu verstehen, daß der kranke alte Mann, die Belastung, Georg sein sollte. Sie pflegte ihn mit Geduld und Liebe und Achtung. Ja, Achtung: oder Respekt. Wie man Respekt hat vor einem alten Mann der sabbert und sich erbricht? Indem man ihn liebt.“ Die Großmutter macht eine Pause, in der sie über diesen Satz nachzudenken scheint. Anna wagt nicht zu fragen, ob die Geschichte jetzt zu Ende ist. Dann spricht die Großmutter weiter. „Liebesgeschichten – sind sie wahr? In Büchern wird da viel gestöhnt und geseufzt um Leute, die meinen, sie lieben sich, und nicht zusammenkommen können. Das sind Irrtumsgeschichten. Gerade so, als gäbe es keine Liebe. Aber die gibt es. Und wenn es um Liebe geht, dann endet die Geschichte nicht, weil einer den anderen enttäuscht oder sich von ihm entfernt. Wenn es um Liebe geht, dann wird sie immer größer, und wie sie endet, das weiß keiner, weil keiner weiß, was hinterher kommt.“ „Wann hinterher?“ fragt Anna. „Dann. Wie bei Katharina und Georg. Es kam nämlich ein Krieg. Und Soldaten vertrieben sie von da, wo sie wohnten. Katharina und Georg mußten fliehen, wie die anderen in Pferdewagen. Sie lagen auf Stroh, täglich einmal wurde angehalten, dann gab es Essen. Katharina ließ sich immer zwei Geschirre voll geben – eines für Georg und eines für sich. Als sie dann ankamen, dort, wo sie nun weiterleben sollten, und als ihre erwachsene Tochter ihnen heraushelfen wollte aus dem Wagen, da sah die Tochter, daß Georg tot war. Schon seit drei Tagen, erklärte Katharina. Und sie hatte niemandem etwas gesagt, weil sie nicht wollte, daß Georg irgendwo an der Straße verscharrt würde. Sie lag neben dem Toten, drei Tage und drei Nächte lang, weil sie jetzt nichts mehr für ihn tun konnte, als für ein richtiges Begräbnis zu sorgen, eben für das, was sie unter einem richtigen Begräbnis verstand. Die Tochter sagte, es ist schlimm, aber es ist auch gut. Jetzt, Mutter, sagte die Tochter, bist du in Sicherheit, er hat seinen Frieden, und du läßt dich jetzt einmal im Leben verwöhnen, von uns. Katharina nickte dazu und wollte nur, daß man sich um ein Begräbnis kümmerte. Die Tochter tat das, und als Katharina wußte, daß am nächsten Tag das Begräbnis sein werde, auf einem richtigen Friedhof mit einem richtigen Grab und so, wie alles zu sein hatte, da legte sie sich ins Bett und starb.“ „Selbstmord!“ schreit Anna. „Aber nein. Zu Ende gelebt. Katharina liebte Georg und lebte mit Georg und starb mit Georg. Und das ist eine wahre Liebesgeschichte von Anfang bis Ende, soweit man das Ende kennt.“ „Und woher kennst du die Geschichte?“ „Katharina und Georg waren meine Großeltern.“ Und meine Ururgroßeltern, denkt Anna. Und es gibt kein Ende. Denn Anna liebt Jens.[/left][right] Irmela Brender[/font][/color][/b][/size][/right]