[b]Die verschollenen Tagebücher des Anselm Moustache (Fragment 1) [/b]
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[i]Unbekannter Freund! Wenn Du diese Zeilen liest, weile ich schon viele Jahrhunderte nicht mehr unter den Lebenden. Weder weiß ich, wer Du bist, noch kann ich in diesem Moment – da ich diese Zeilen zu Papier bringe - eine Ahnung von der Epoche haben, die Dich umgibt. [/i]
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Wenn Du,ungläubiger Sohn einer blasenschwachen Ziege oder vielleicht auch mächtiger Herrscher über die Welt, diese Aufzeichnungen aus meinem Tagebuch studierst, wandele ich bereits die Zeitspanne mehrerer Menschenleben in der Welt zwischen Leben und Tod. Gott persönlich versperrt mir den Weg in sein Himmelreich. Seine Rache dafür, dass ich einst die legendäre „Kirche des Ichs“ gründete. Auch Buddha und Allah weisen mir die Tür. Selbst Satan kehrt mir seinen haarigen Rücken zu. Doch genug gejammert! Mit Deiner Erlaubnis stelle ich mich kurz vor. Mein Name ist Anselm Moustache. Mein Leben habe ich dem Kampf gewidmet. Ich schlug die Türken vor Wien zurück, ermordete Vlad Tepes, Adolf Hitler und George W. Bush. Ich ritt Seit an Seit mit Dschingis Khan, begleitete Jesus auf seinem letzten Weg und erfand Jahrhunderte vor Gutenberg die Buchdruckkunst. Ich erschlug mit bloßen Fäusten den letzten Dinosaurier, managte TOKIO HOTEL und fackelte aus Leichtsinn Babylon ab. Ich war verantwortlich für die Pest, zeugte Yoko Ono und gründete im Wahn die SPD Niederrhein. Letztgenannter Versuch ging übrigens tierisch in die Hose.
Geboren (Mutter verstarb dabei, Vater ist unbekannt) wurde ich Mitte des 14. Jahrhunderts in Chemnitz, dem heutigen Angela-Merkel-Stadt. Schon in frühester Jugend zog es mich hinaus auf See. Ich heuerte auf einem Schiff der berüchtigten Vitalienbrüder an. Damit fingen dann auch meine Probleme an. Ich suchte und fand Abenteuer, leichte Mädchen und wilde Raufereien. Schnell katapultierte ich mich ins gesellschaftliche Aus. Eine Sackgasse! Das ist mir heute natürlich klar. Doch jetzt ist es wohl zu spät. Ich stecke bis zum Hals in der Scheiße! Draußen regnet es in Strömen. Vom Fluss her zieht leichter Nebel auf. Richtiges Schmuddelwetter. Typisch für Hamburg um diese Jahreszeit. Die Kälte kriecht durch meine klamme Kleidung und frisst sich in meinem Körper fest. Meine Hände sind gefesselt. Die groben Seile schneiden mir tief ins Fleisch. Wir stehen dicht an dicht. 71 Freibeuter, die jahrelang unter der schwarzen Flagge des Totenkopfes und unter der Führung von Klaus Störtebeker die Nordsee unsicher gemacht haben. Wir schreiben den 21. Oktober 1401. Meinen Todestag. Der Henker wartet. Sie werden uns in wenigen Stunden auf den Elbwiesen enthaupten. Danach sollen unsere Köpfe auf Pfähle gespießt und an der Elbe als Abschreckung aufgespießt werden. Diese perversen Schweine! Ich hoffe, Godeke Michels wird ihnen dafür das Herz bei lebendigem Leibe herausreißen.
Meine Gedanken drifteten ab. Störtebeker und Michels hatten sich nach der ärgerlichen Sache mit dem deutschen Ritterorden die Nordsee geteilt. Godeke Michels eroberte mit seinen Jungs den Meerraum zwischen England und Flandern. Störtebeker verlagerte seinen Stützpunkt auf das sichere, von Untiefen umgebene Helgoland. Von hier aus liefen wir mit der Flut aus, überfielen Handelsschiffe vor der Elbe und kamen gerade rechtzeitig mit dem Beginn der Ebbe wieder zurück. Wir hielten uns für unbesiegbar! Wir waren die Könige der Meere! Harte, Wetter gegerbte und trinkfeste Gesellen mit großen Schwänzen. In jedem Arm eine dickbrüstige Hure, unter der Koje eine Kiste mit Gold und in der Pfeife Tabak aus Übersee. Im März dieses Jahres dann das Debakel. Eine Hamburger Kriegsflotte hatte uns unerwartet vor Helgoland gestellt. Der Kampf dauerte den ganzen Tag und eine halbe Nacht. Ich tötete mindestens vierzehn Männer, bevor sie mich in Ketten legten.
Unsanft werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Bin wieder in der Gegenwart. Eine Wache schlägt mir mit der Faust brutal ins Gesicht. Blut läuft über meine Wange. Die Wache treibt mich wie Vieh vor sich her. Raus aus dem dunklen Kerker, hin zum Richtplatz. Meine Augen gewöhnen sich nur mühsam an das Tageslicht. Die Straßen sind gesäumt von Menschen. Ich höre Kinder schreien, Frauen weinen. Sehe in die ernsten Gesichter
von Männern. Männer aus dem Volk. Sie wissen, was mir bevorsteht. Unser trauriger Zug wird vom Scharfrichter Rosenfeld angeführt. Dahinter Gerichtsdiener und Geistliche. Wir Freibeuter sind mit Stricken aneinander gebunden. Ich kann die Elbwiesen schon sehen. Dann geht alles sehr schnell. Störtebeker ist als Erstes dran. Der Henker trennt sauber seinen Kopf vom Rumpf. Ach, übrigens! Kennen Sie diese Legende? Der Bürgermeister der Hansestadt soll Störtebeker gestattet haben, dass all jene Männer überleben dürfen, an denen er nach seiner Enthauptung noch vorbeizugehen vermag. Das stimmt wirklich. An elf Männern schreitet unser mutiger und nun kopfloser Kapitän vorbei. Dann wirft ihm dieses Mistschwein von Henker den Richtblock vor die Füße und er stolpert. Störtebeker fällt und mit ihm meine Chance auf ein Weiterleben. Ich wäre nämlich Mann Nummer Zwölf gewesen. Pech gehabt! Wobei? Hätte eh nicht viel geändert. Nach dem Sturz des Kapitäns bricht der Bürgermeister sein gegebenes Versprechen und lässt uns alle enthauptet. Was kann man schon auf ein Politikerversprechen geben? Sie kennen das sicherlich aus Ihrem Jahrhundert. Jetzt, wo mein Kopf auf einem groben Baumstamm gespießt ist, bekomme ich auf einmal schreckliche Kopfschmerzen. Du wunderst Dich, warum ich immer noch von meinen Abenteuern berichten kann? Narr!
Siehst Du dort oben am Himmel Hugin und Munin? Die beiden Raben Odins. Diese Wegbegleiter des alten Germanenzausels halten meine wirre Seele in ihren Schnäbeln. Ich blicke auf mich herab. Hoffentlich begegnen sie nicht Fenrir, dem Wolf. Wobei? Ich bin eh unsterblich! Jedenfalls fast! Beim nächsten Mal erzähle ich Dir, wie ich Odin als Dank für meine Rettung ein Auge ausstach und wie es mir gelang Pornofotos von Satan ins Internet zu stellen. Wohlgemerkt zweihundert Jahre bevor der erste Computer gebaut wurde.
[i]Sebastian Badenberg[/i]
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