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[center]Katharsis Der Regen fiel, als ob er die Menschheit ein zweites Mal in seinen zornigen Fluten ertränken wolle. Der sonst so beschaulich vor sich hin plätschernde Bach, einziger Gefährte in dieser trostlosen Stunde, verwandelte sich in einen grimmigen Strom mitreißender Wildheit, spie Unterholz, Schlick und menschliche Abfälle. Es rauschte immer gewaltiger, auch in den unwettererfahrenen Tannen ringsum. Einige jüngere Bäume schwankten wie die Finger eines warnenden Riesen. Der aufgeweichte Boden versprach keinen Halt mehr. Dennoch rührte sich die weibliche Gestalt nicht vom Fleck. Hockend starrte sie unverwandt in die Leere, die durch nichts zu füllen war. Zumindest schien es ihr so. Seit sie bewußt denken konnte, war diese Leere, dieser Abgrund, vorhanden, und das Gefühl, nur einen winzigen Schritt vor der endgültigen Auflösung, dem endlosen Fall ins Nichts, zu stehen, wurde mit den Jahren nicht schwächer. Im Gegenteil. Der Sog war immer kraftvoller geworden. Dabei war sie nicht schwach. Sie fühlte eine unbändige Energie, ihr Selbsterhaltungstrieb war der Fluch, der auf ihrer Seele lastete. Verdammt, zu leben, was auch geschehe. Jede Wunde mit Stolz in eine Narbe zu verwandeln, erhobenen Hauptes unter Gebückten zu leben, schien ihr Schicksal zu sein. Falls es so etwas gab. Ihr freier Wille suchte der Bestimmung zu trotzen, allein, es war ihm nicht vergönnt. So sehr ihre klammen Kleider nun an ihrem durchaus wohlgeformten Leib klebten, so stark war die Bindung an diese unerklärliche Macht, die zu ergründen sie sich geschworen hatte. Sie wußte sie zu nutzen. Ein markerschütternder Schrei löste sich aus ihrer Kehle, wetteiferte mit dem Donnerschlag, verlor sich in den dunklen Weiten des nächtlichen, sturmgeplagten Waldes. Kein Blitzschlag erhellte die Düsternis der Tannen. Luna wurde von dräuenden Wolkengebirgen verdeckt, einzig der Glanz in ihren Augen schien Quelle eines diffusen Leuchtens. Doch gab es niemanden, ihn wahrzunehmen, so wie niemand da war, ihre Tränen zu trocknen. Eins mit der Erde, verbunden mit der Urgewalt der Natur, inmitten höflich stummer Holzkumpane, schloss sich vorerst die jüngste Wunde, ihre Schreie verbannten die Pein aus ihrer Seele, es gab nur sie, nur den Wald, und sie dankte den Göttern ihrer Ahnen für diese Erfahrung, sie pries die Natur, denn sie war der Anfang und das Ende. Ihr ganz persönliches Ende rückte ein weiteres Mal in ungewisse Zukunft, in diesem einzigartigen Augenblick gab es nur sie, das unvergleichliche Gefühl, eins mit Allem und zugleich nicht vorhanden zu sein. Scheinbare Widersprüche lösten sich auf, der immerwährende Zyklus begann erneut. Ein ursprüngliches Lachen löste sich von ihren zerbissenen Lippen, wie es dieser Wald seit undenklichen Zeiten nicht mehr vernommen hatte. Unschuldig, wie das Kichern eines Kindes, wissend wie das Schmunzeln eines alten Mannes. Selbstzufrieden, genügsam, voller Kraft. Das Lachen der Götter. Sie hatte sich selbst gefunden, es konnte weitergehen. Vergangene Schmach vermochte nicht mehr, ihr Urteilsvermögen zu trüben. Bereit für einen Neubeginn, geborgen in sich selbst, spürte sie weder Kälte noch Nässe oder Erschöpfung. Und sie hatte keine Furcht mehr vor der Einsamkeit. Inbrünstig intonierte sie zum Abschluß ihren Namen. Und fühlte sich befreit... [/center]

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