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DIE ETIKETTIERUNG IST WICHTIGER ALS DIE TEXTE SELBST Die beliebteste Methode, den alljährlich neu hochschießenden Roman-Wildwuchs zu bändigen und in überschaubare Strukturen zu zwingen, ist die Proklamation literarischer Moden. Diese sind ein zweischneidiges Phänomen. Einerseits entsteht sie unwillkürlich, gleichsam hinter dem Rücken des Buchmarkts, als Spiegel nachhaltiger gesellschaftlicher Veränderung. Andererseits werden sie von Buchmarkt-Strategen gesteuert und inszeniert. Die Kreation von Literaturmoden ist auch ein Hilferuf, ein Schrei um Aufmerksamkeit auf einem hoffnungslosen verstopften Buchmarkt. Die quasi von selbst entstehenden Trends sind schwieriger zu erkennen und zu deuten, sie sind aber auch dauerhafter und langlebiger als die offenkundig "gemachten" literatischen Moden, die oft genug bereits saisonal hektisch wechseln. Beim gesteuerten Moden-Management geht es um einen marktstrategisch herbeigeführten Wandel der literarischen Moden oder des Publikumsgeschmacks. Zu deren Verlautbarung bedarf es einprägsamer Parolen; diese werden längst nicht nur in den Werbe-Abteilungen der Verlage ausgebrütet, sondern ebenso häufig in den Feuilletons. Die Erfindung griffiger Etiketten ist für den Verkauf heute fast noch wichtiger als die Entdeckung guter literarischer Texte. Uns sie ist heute überlebensnotwendig angesichts einer zunehmenden Homogenisierung und Konformisierung der deutschen Literatur in ihren Stoffen, ihren Themen und ihrer Sprache.