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Rainer Maria Rilke

Und du erbst das Grün vergangner Gärten und das stille Blau zerfallner Himmel. Tau aus tausend Tagen, die vielen Sommer, die die Sonnen sagen, und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen wie viele Briefe einer jungen Frau. Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder in der Erinnerung von Dichtern liegen, und alle Winter, wie verwaiste Länder, scheinen sich leise an dich anzuschmiegen. Du erbst Venedig und Kasan und Rom, Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom, die Troïtzka Lawra und das Monastir, das unter Kiews Gärten ein Gewirr von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, - Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, - und Klang wird dein sein Geigen, Hörner, Zungen, und jedes Lied, das tief genug erklungen, wird an dir glänzen wie ein Edelstein. Für dich nur schließen sich die Dichter ein und sammeln Bilder, rauschende und reiche, und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche und sind ihr ganzes Leben so allein... Und Maler malen ihre Bilder nur, damit du unvergänglich die Natur, die du vergänglich schufst, zurückempfängst: alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst in der Madonna Lisa reif wie Wein; es müsste nie ein Weib mehr sein, denn Neues bringt kein neues Weib hinzu. Die, welche bilden, sind wie du. Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein, sei ewig. Und das heißt: sei dein! Und auch, die lieben, sammeln für dich ein: Sie sind die Dichter einer kurzen Stunde, sie küssen einem ausdruckslosen Munde ein Lächeln auf, als formten sie ihn schöner, und bringen Lust und sind die Angewöhner zu Schmerzen, welche erst erwachsen machen. Sie bringen Leiden mit in ihrem Lachen, Sehnsüchte, welche schlafen, und erwachen, um aufzuweinen in der fremden Brust. Sie häufen Rätselhaftes an und sterben, wie Tiere sterben, ohne zu begreifen, - aber sie werden vielleicht Enkel haben, in denen ihre grünen Leben reifen; durch diese wirst du jene Liebe erben, die sie sich blind und wie im Schlafe gaben. So fließt der Dinge Überfluss dir zu. Und wie die obern Becken von Fontänen beständig überströmen, wie von Strähnen gelösten Haares, in die tiefste Schale, - so fällt die Fülle dir in deine Tale, wenn Dinge und Gedanken übergehn.