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[center][font=courier new][size=6]Krishnamurti über Name und Wesen![/size] [size=3] Warum benennen wir etwas? Warum geben wir einer Blume, einem Menschen, einem Gefühl eine Aufschrift? Entweder um unseren Eindruck mitzuteilen oder um uns selber mit diesem zu identifizieren. Ich bin zum Beispiel ärgerlich und benenne dieses Gefühl. Weshalb tue ich das? Entweder um darüber sprechen zu können oder um mich damit zu identifizieren, auf dass ich es verstärken, auflösen oder sonst etwas damit anfangen kann. Das heisst also, wir geben einer Sache, wie etwa der Rose, einen Namen, um darüber zu berichten; ferner glauben wir, durch das Benennen die Dinge zu verstehen. Wir sagen: “Das ist eine Rose”, blicken schnell zu ihr hin und gehen weiter. Wir haben sie eingeord­net, bilden uns ein, damit die Gesamtheit und Schönheit dieser Blume erfasst zu haben und sehen sie nicht genauer an. Geben wir ihr jedoch keinen Namen, so sind wir gezwungen, sie zu betrachten. Dann nähern wir uns der Blume – oder was es auch sein mag – mit einem neuen, forschenden Gefühl; wir betrachten sie, als hätten wir sie nie zuvor gesehen. Das Benennen ist eine sehr bequeme Art, sich der Dinge und Menschen zu entledigen; man sagt, sie seien Deutsche, Japaner, Amerikaner oder Hindus, gibt ihnen eine Aufschrift und zerstört sie. Verzichtet man aber auf diese Aufschrift, so ist man gezwungen, die Menschen anzusehen. Dann ist es viel schwerer, sie umzubringen. Man kann eine Aufschrift vernichten und sich dabei rechtschaffen dünken; ist aber keine Aufschrift da und muss man daher das betreffende Etwas betrachten – Mensch, Blume, Ereignis oder Gefühl, so ist man gezwungen, sowohl seine Beziehungen dazu als auch die sich daraus ergebende Handlungsweise zu erwägen. Das Benennen und Mit-einer- Aufschrift-Versehen ist eine äusserst praktische Angelegenheit, um sich von einer Sache zu befreien, sie zu verleugnen, zu verurteilen oder zu rechtfertigen. Dies wäre die eine Seite der Frage. Was ist nun der innerste Kern, das Zentrum, aus dem heraus wir benennen, beschreiben und unsere Wahl treffen? Wir alle fühlen, dass ein solcher innerster Kern, ein Mittel­punkt besteht, von wo wir handeln, beurteilen, benennen. Was ist dieser Mittelpunkt, dieser Kern? Einige meinen, es sei eine geistige Substanz, Gott oder wie immer Sie es nennen wollen. Lassen Sie uns daher herausfinden, was es tatsächlich ist. Es ist unser Gedächtnis, nicht wahr? Eine Reihe von Empfindungen, eingeschlossen und identifiziert – durch Gegenwart belebte Vergangenheit. Dieser Kern – dieses Zentrum – erhält sich durch die Gegenwart lebensfähig, indem er benennt, beschreibt und sich erinnert. Wir werden sogleich sehen, wenn wir dies vor uns entfalten, dass kein Verständnis eintreten kann, solange der Kern, der Mittelpunkt besteht. Es kann erst mit seinem Verschwinden kommen. Denn schliesslich ist der Kern Gedächtnis, Gedächtnis von verschiedenen Erfahrungen, mit denen wir uns identifizieren, die wir benannt und mit Aufschriften versehen haben. Mit Hilfe dieser benannten und festgelegten Erfahrungen entspricht aus unserem Mittelpunkt heraus entsprechend unserer Erinnerung an Freud und Leid das Annehmen oder Zurückweisen, der Entschluss, etwas zu sein oder nicht zu sein. Dieser Kern ist das Wort. Würde man ihn aber nicht benennen, gäbe es ihn dann überhaupt? Kann man denken, wenn man nicht in Worten denkt? Denken entsteht durch das Wort; oder das Wort beginnt zu antworten, wenn wir denken. Das Zentrum, der Kern also ist unser Gedächtnis mit seinen unzähligen in Worten aufgefangenen Erfahrungen an Freud und Leid. Bitte beobachten Sie es bei sich selbst, und Sie werden sehen, wie viel wichtiger Worte und Aufschriften geworden sind als ihr Inhalt; wir leben förmlich von Worten. Worte wie “Wahrheit” oder “Gott” sind für uns sehr bedeutsam geworden – mehr noch die Empfindung, die diese Worte ausdrücken. Indem wir Worte wie “Amerikaner”, “Christ”, “Hindu” oder “Ärger” aussprechen, sind wir das Wort, der Ausdruck dieses Gefühls. Das Gefühl selbst bleibt uns unbekannt, weil das Wort so wichtig geworden ist. Wenn Sie sich einen Buddhisten, einen Christen nennen, was verstehen Sie darunter, was steht hinter dem Wort, das Sie nie untersucht haben? Unser Mittelpunkt, unser Kern ist das Wort, ist die Aufschrift. Wenn aber an der Aufschrift nicht gelegen ist, wenn nur das, was dahinter steht, interessiert, dann wird man fähig, der Sache auf den Grund zu gehen; wenn man aber am Namen hängen bleibt und sich damit identifiziert, so kann man nicht weiterkommen. Aber wir sind identifiziert mit unserer Aufschrift: unserem Haus, unserer Gestalt, unserem Namen, unserer Einrichtung, unserem Bankkonto, unseren Ansichten, unseren Antrieben und all den anderen Dingen; wir sind diese Dinge, die alle Namen tragen. Weil diese so bedeutsam sind, ist unser Mittelpunkt, der Kern, zum Wort geworden. Wenn es aber kein Wort, keine Anschrift mehr gibt, besteht dann noch ein Mittelpunkt? Dann gibt es nur noch Leere; eine Auflösung findet statt. Es ist nicht die Leere der Furcht, das ist etwas ganz anderes, sondern das Gefühl, ein Nichts zu sein; wenn man sich aller Namen entledigt hat, oder richtiger, weil man verstanden hat, warum man Ideen und Gefühlen Namen gab, ist man ein völlig neuer Mensch geworden. Es gibt kein Zentrum mehr, aus dem heraus man handelt; der Mittelpunkt, das Wort ist aufgelöst. Wo aber ist man selbst? Man ist noch da, doch anders als zuvor. Eine Umwandlung hat statt­gefunden. Sie ist ein wenig erschreckend, deshalb schreitet man im Verständnis nicht weiter fort, man ist schon dabei, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob man es mag oder nicht; das aber bedeutet, abermals aus einem Mittelpunkt heraus zu handeln. Wer urteilt, bleibt stehen. Worte wie “Neigung” und “Abneigung” werden bedeutsam. Wenn man aber nicht benennt, dann ist man gezwungen, alles von neuem zu betrachten. Wenn man die Menschen nicht mehr nach Gruppen benennt, ist man genötigt, den einzelnen ins Gesicht zu sehen und kann sie nicht mehr als Masse behandeln. Dadurch wird man viel aufmerksamer, beobachtender, verstehender und tiefer empfänglich für Mitleid und Liebe – Gefühle, die die Masse nicht auslösen kann. Hätte man keine Namen, dann müsste man jede Empfindung in ihrem Entstehen betrach­ten. Wenn man ihr jedoch eine Aufschrift gibt, ist dann diese Aufschrift etwas anderes als unser Gefühl – oder wird dieses durch unsere Aufschrift geweckt? Die meisten Men­schen vertiefen dadurch ihr Gefühl, dass sie ihm einen Namen geben. Fühlen und Benennen geschieht im gleichen Augenblick. Gäbe es eine Pause zwischen beiden, so könnten man herausfinden, inwieweit sie sich unterscheiden; dann aber wäre man im Stande, sich mit dem Gefühl zu befassen, ohne es zu benennen. Unser Problem ist dies: Wie kann man sich von einem Gefühl befreien, das man benennt, zum Beispiel „Ärger“? Nicht es bezwingen, veredeln oder unterdrücken – all dies wäre töricht und unreif. Wir wollen frei davon werden, aber wie? Dazu müssen wir heraus­finden, was uns wichtiger ist: das Wort oder das Gefühl. Das Wort hat für uns grössere Bedeutung. Um dies jedoch wirklich feststellen zu können, bedarf es einer Pause, einer Pause zwischen Empfinden und Benennen. Dies wäre ein Teil des Problems. Was aber folgt, wenn ich aufhöre zu benennen, wenn mein Denken nicht mehr wie bei den meisten Menschen ausschliesslich auf Grund von Worten, in Begriffen, Namen und Symbolen arbeitet? Sicherlich ist dann unser Sinn nicht nur Beobachter, dann gibt es keinen Denker abseits vom Gedanken, das heisst vom Wort. Dann ist der Sinn ruhig – nicht ruhig gemacht, er ist es. Wenn er es ist, dann kann man sich mit einem auftau­chenden Gefühl unmittelbar befassen. Nur wenn wir unseren Gefühlen Namen geben und sie dadurch bestärken, erhalten sie Fortdauer, werden im Zentrum aufgespeichert und mit weiteren Aufschriften versehen, entweder um sie noch zu vertiefen oder anderen mitzuteilen. Wenn unser Sinn aufhört Mittelpunkt, nämlich der Denker zu sein, der sich aus Worten und früheren Erfahrungen zusammensetzt – aus allerlei Erinnerungen und Namen, die aufgespeichert, in Klassen eingeteilt und in Fächern verwahrt werden, wenn unser Sinn nichts dergleichen mehr tut, dann wird er offenbar still. Er ist nicht länger gebunden und kennt keinen Mittelpunkt mehr als Ich und Mein – mein Haus, mein Werk, meine Arbeit, alles noch Worte, die dem Fühlen Antrieb verleihen und dadurch das Gedächtnis stärken. Wenn nichts von all dem vor sich geht, dann ist der Sinn sehr ruhig. Dieser Zustand ist kein Negieren. Im Gegenteil, man kommt erst dazu, wenn man alles andere durchlaufen hat; und das ist ein gewaltiges Unterfangen. Es bedeutet nicht, Worte aus­wendig zu lernen und sie wie ein Schuljunge zu wiederholen – „nicht benennen“, „nicht benennen“! Es bedeutet, allen Verwicklungen seines Verstandes zu folgen und ihn in seiner Tätigkeit zu beobachten bis zu dem Punkt, wo man nicht mehr benennt, das heisst, wo es keinen vom Denken abgesonderten Mittelpunkt mehr gibt – das aber ist wahre Meditation. Wenn der Sinn wirklich ruhig ist, dann ist es möglich, dass das Unermessliche ins Dasein tritt. Was immer wir sonst auch tun mögen auf der Suche nach Wahrheit ist selbst-er­sonnen, selbst-verfertigt und daher unwahr. Um aber zu diesem Punkt zu gelangen, um diesen unendlich mühsamen Vorgang zu durchlaufen, muss man alles wahrnehmen, was sich in unserem Inneren abspielt; man darf nicht richten, nicht rechtfertigen – weder am Anfang noch am Ende. Das aber soll nicht heissen, dass es ein Ende gibt. Es gibt kein Ende; das Ausserordentliche geht unaufhörlich weiter. Dies soll kein Versprechen sein. Sie müssen es selber erforschen, müssen tiefer und tiefer in sich eindringen, bis all die vielen Schichten des Zentrums aufgelöst sind; und es liegt an Ihnen, ob es schnell oder langsam geschieht. Es ist ungeheuer interessant, den Vorgang in seinem Verstande zu beobachten; zu beobachten, wie er von Worten abhängig ist, wie Worte das Gedächtnis anregen, tote Erfahrungen wieder erwecken und ihnen neues Leben verleihen, wie sich der Verstand während dieses Ablaufs in Zukunft oder Vergangenheit bewegt. Daher sind Worte, nervlich und psychologisch, von wesentlicher Bedeutung. Man kann dies jedoch von keinem anderen lernen, man kann es auch in keinem Buche finden. Lernen Sie es bitte auch nicht von mir! Was man lernt oder in einem Buche findet, ist nicht das Wahre. Die können damit Versuche anstellen, sich selber beim Handeln und Denken beobach­ten, können erkennen, in welcher Art Sie denken, wie schnell Sie eine Empfindung benennen, noch während sie auftaucht – und diese Beobachtung des ganzen Vorgangs wird den Sinn von seinem Kern befreien. Dann ist er ruhig und kann empfangen, was ewig ist. [/size] --- [size=4] [i]Krishnamurti: Schöpferische Freiheit, ISBN 3-7197-0349-5 , S. 181 – 187[/size][/i] [/center]

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