Allgemein (7) | ||
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[size=3][font=n][color=#939393][b]Gaus:[/b] »[…] [i]Herr Dutschke, Sie wollen die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik verändern. Alles soll von Grund auf anders werden. Warum?[/i]«
[b]Dutschke:[/b] »Ja, 1918, um damit zu beginnen, erkämpften die deutschen Arbeiter- und Soldatenräte den 8-Stunden-Tag. 1967 arbeiten unsere Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellten lumpige vier, fünf Stunden weniger pro Woche. Und das bei einer ungeheuren Entfaltung der Produktivkräfte, der technischen Errungenschaften, die eine wirklich sehr, sehr große Arbeitszeitreduzierung bringen könnten, aber im Interesse der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsordnung wird die Arbeitszeitverkürzung, die historisch möglich geworden ist, hintangehalten, um Bewußtlosigkeit, das hat etwas mit der Länge der Arbeitszeit zu tun, aufrechtzuerhalten. Ein Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg begann ununterbrochen das Gerede der Regierungen über Wiedervereinigung. Nun haben wir schon 20 und mehr Jahre keine Wiedervereinigung, wir haben aber systematisch immer wieder Regierungen bekommen, die man gewissermaßen bezeichnen könnte als institutionalisierte Lügeninstrumente, Instrumente der Halbwahrheit, der Verzerrung, dem Volk wird nicht die Wahrheit gesagt. Es wird kein Dialog mit den Massen hergestellt, kein kritischer Dialog, der erklären könnte, was in dieser Gesellschaft los ist. Wie es plötzlich mit dem Ende des Wirtschaftswunders zustande kam, warum die Wiedervereinigungsfragen nicht vorankommen? Man spricht von menschlichen Erleichterungen im Verkehr und meint Aufrechterhaltung der politischen Herrschaft.«
[b]Gaus:[/b] »[i]Warum meinen Sie, Herr Dutschke, dass die Veränderungen, die Sie wünschen, durch Mitarbeit in den bestehenden Parteien nicht erreicht werden kann?[/i]«
[b]Dutschke:[/b] »Es gibt eine lange Tradition der Parteien, in der sozialdemokratischen, der konservativen, den liberalen Parteien; ohne die jetzt geschichtlich aufzurollen, haben wir nach 1945 eine sehr klare Entwicklung der Parteien, wo die Parteien nicht mehr Instrumente sind, um das Bewußtsein der Gesamtheit der Menschen in dieser Gesellschaft zu heben, sondern nur noch Instrumente, um die bestehende Ordnung zu stabilisieren, einer bestimmten Apparatschicht von Parteifunktionären es zu ermöglichen, sich aus dem eigenen Rahmen zu reproduzieren, und so also die Möglichkeiten, dass von unten Druck nach oben und Bewußtsein nach oben sich durchsetzen könnte, qua Institution der Parteien schon verunmöglicht wurde. Ich meine, viele Menschen sind nicht mehr bereit, in den Parteien mitzuarbeiten, und auch diejenigen, die noch zur Wahl gehen, haben ein großes Unbehagen über die bestehenden Parteien. Und …bauen sie noch ein Zwei-Parteien-System, und dann ist es endgültig vorbei.«[/color][/font][/size]
Und im späteren Verlauf des Gespräches:
[size=3][font=n][color=#939393][b]Gaus:[/b] »[i]Warum treten Sie aus der Politik nicht aus? Wäre das nicht ein größeres Mitleid mit den armen Teufeln, mit den Menschen, für die Sie so schreckliche Zeiten heraufkommen sehen? Warum sagen Sie nicht: Wir können es nicht ändern, laß es doch laufen![/i]«
[b]Dutschke:[/b] »Wir können es ändern. Wir sind nicht hoffnungslose Idioten der Geschichte, die unfähig sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Das haben sie uns jahrhundertelang eingeredet. Viele geschichtliche Zeichen deuten darauf hin, dass die Geschichte einfach nicht ein ewiger Kreisel ist, wo nur immer das Negative triumphieren muss. Warum sollen wir vor dieser geschichtlichen Möglichkeit Halt machen und sagen: Steigen wir aus, wir schaffen es doch nicht. Irgendwann geht es mit dieser Welt zu Ende. Ganz im Gegenteil. Wir können eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat, eine Welt, die sich auszeichnet, keinen Krieg mehr zu kennen, keinen Hunger mehr zu haben, und zwar in der ganzen Welt. Das ist unsere geschichtliche Möglichkeit – und da aussteigen? Ich bin kein Berufspolitiker, aber wir sind Menschen, die nicht wollen, dass diese Welt diesen Weg geht, darum werden wir kämpfen und haben wir angefangen zu kämpfen.« [/color][/font][/size]([color=#c3c3c3][size=3]Gespräch zwischen Günter Gaus und Rudi Dutschke in der Sendereihe „Zu Protokoll“ am 3. Dezember 1967 [/color][/size])
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